Vorbemerkung 1
Der LBV ist offen für unterschiedliche politische Meinungen, soweit diese mit den Naturschutzzielen vereinbar sind. Zugleich kann
Naturschutz nur im Umfeld der Politik und vielfach auch nur gegen bestimmte politische Interessen betrieben werden. Der Vortrag „Ökonomie und Ökologie“ unternahm den Versuch, Gedanken über
ökonomische – und damit immer auch politische – Hintergründe der Naturzerstörung zur Diskussion zu stellen. Im Sinne der politischen Offenheit und Neutralität wollte und konnte der Vortrag
freilich nicht den Anspruch erheben, eine abgestimmte LBV-Position darzustellen. Es ging darum, zum Nachdenken anzuregen.
Vorbemerkung 2
In der Nachbesprechung zum Vortrag wurde beklagt, dass der Bezug zu den konkreten Problemfeldern der LBV-Tätigkeit nicht immer deutlich
genug erkennbar gewesen sei. In diesem Sinn soll im Folgenden erstens in kurzen Thesen die Argumentation des Vortrags zusammengefasst und zweitens in Anmerkungen dazu der aktuelle Bezug – in
ein paar Fällen auch über das im Vortrag Gesagte hinaus – verdeutlicht werden.
Der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse
Ob Arbeitnehmer, Unternehmer oder Freiberufler - jeder muss zusehen, wie er das Geld für seinen Lebensunterhalt bekommt. Damit ist er auf den Markt verwiesen und der hält manche Zwänge bereit.
Die Zwänge des Markts lassen nicht übermäßig viel individuellen Spielraum offen, und daher greifen psychologische oder moralische Urteile zu kurz. Wir wollen nach Ursachen und Wirkungen dieser
sogenannten Sachzwänge fragen; es geht also nicht darum, Schuldige zu finden, sondern um die Erklärung der ökonomischen Zusammenhänge.
Anmerkung: Ganz in diesem Sinne wehrt sich der LBV seit jeher zu Recht gegen den Vorwurf, er wolle die Bauern als Umweltsünder an den Pranger stellen. Vielmehr geht es darum, Rahmenbedingungen
zu fordern, die eine umweltverträgliche Form der Landwirtschaft allgemein ermöglichen. Dabei ist die Landwirtschaft gewiss nicht das einzige Feld, auf dem ökonomische Zwänge zu für die
Allgemeinheit schädlichem Folgen führen. Leben wir also in einer Gesellschaft, in der Verheerendes geschieht, aber niemand etwas dafürkann?
Der Markt
In der Volkswirtschaftslehre wird gern mit dem Bild der „unsichtbaren Hand“ suggeriert, dass das eigennützige Handeln der Wirtschaftssubjekte insgesamt zum allgemeinen Wohl führe. Aber sprechen
die tatsächlichen Resultate - nicht nur in Gestalt der Umweltschäden, sondern auch in Form der sich ständig erweiternden Schere von arm und reich - nicht eine andere Sprache?
Anmerkung: Zweifellos sind Bioprodukte gut, sowohl für die Umwelt wie für das Wohlergehen derer, die sie konsumieren. Allerdings sind sie auch deutlich teurer. Wer von Hartz-4 lebt oder auf
Tafeln angewiesen ist – um nur die Spitze des Eisbergs zu nennen – stößt neben der Belastung durch Miete und Fahrkosten schnell an seine finanziellen Grenzen. Naturzerstörung einerseits und
Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung und Niedriglöhne andererseits haben beide dieselbe Ursache: Kostensenkung, um die Gewinne zu steigern. Dieselben Gründe, die zu den Übeln der
konventionellen Landwirtschaft führen und es geboten erscheinen lassen, die Biobauern durch Kauf ihrer Produkte zu fördern, sind also zugleich Gründe, weshalb man nicht hoffen kann, damit in
allgemeinem Maßstab die Misere zu überwinden.
Die Rolle des Staats
Die Marktwirtschaft ist ohne staatliche Regulierung nicht möglich. Deshalb steht der Staat über den einzelnen Bürgern. Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Staat von der
Wirtschaft als der materiellen Grundlage seiner Macht abhängig ist und es daher illusorisch wäre, von ihm anderes zu erwarten, als was der nationalen Wirtschaft förderlich wäre. Wo im Bereich des
Sozialen und der Umwelt wirtschaftliche Interessen die allgemeinen Grundlagen der Produktion (hinsichtlich Natur und menschlicher Arbeitsfähigkeit) untergraben, wird er tätig, doch stets
höchstens so weit, als damit die die Priorität der Wirtschaft nicht in Frage gestellt wird.
Anmerkung: Für den Staat gilt es also abzuwägen zwischen dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und der menschlichen Gesundheit einerseits und den Profitinteressen der Wirtschaft
andererseits. Bei so etwas kann es keine objektive Antwort geben; es ist vielmehr Gegenstand ständiger politischer Auseinandersetzungen. Jedes Ergebnis ist nur der Ausgangspunkt neuen Streits. So
ist es nach dem Erfolg des Volksbegehrens „Artenvielfalt“ alles andere als überraschend, dass wir nun aufpassen müssen, dass nicht die Umsetzung des Volksbegehrens Schritt für Schritt zu deren
Rücknahme verfälscht wird (siehe in diesem Kontext die Sache mit den Streuobstwiesen).
Internationale Ebene
Bei sich zuhause kann der Staat Gesetze erlassen, die die Umweltzerstörung zwar nicht verhindern, aber auf ein von ihm für hinnehmbar erklärtes Maß beschränken sollen. Er kann dann auch die
Einhaltung kontrollieren und Zuwiderhandlungen sanktionieren. Auf internationaler Ebene funktioniert das nicht. Zwar gibt es laufend internationale Verhandlungen und Vereinbarungen, wie
insbesondere das Pariser Klimaabkommen, aber wieweit sich die Staaten daran halten, bleibt letztlich ihnen selbst überlassen; daher sind sie ziemlich wirkungslos.
Anmerkung: Die Staaten stehen untereinander in Konkurrenz um Rohstoffe, Absatzmärkte und Investitionsmöglichkeiten. Jeder will sein Land als möglichst profitablen Wirtschaftsstandort
herrichten. Das potenziert den Druck gegen Umweltstandards, da diese dabei allemal hinderlich sind. Exemplarisch ist hier die Subventionspolitik für die Landwirtschaft. Partielle Agreements
gehören zur Konkurrenz: Vereinbarungen wie CETA, TTIP und Mercosur sollen die Stellung der beteiligten Staaten gegen den Rest der Welt stärken; keine Frage, dass Umweltbelange dabei regelmäßig
auf der Strecke bleiben.
Wirtschaftswachstum
Wachstum gehört untrennbar zur Marktwirtschaft: um sich in der Konkurrenz zu behaupten, strebt jeder Unternehmer danach, seinen Betrieb zu erweitern; insgesamt führt das zu gesamtwirtschaftlichem
Wachstum. Dieses ist zugleich für jeden Staat vorrangiges Ziel, um in der internationalen Standort-Konkurrenz zu bestehen. Aber ist unbeschränktes Wachstum überhaupt sinnvoll und möglich? Die
Grenzen sind bereits drastisch erkennbar, z.B. in puncto Klimawandel, Flächenfraß und Artensterben.
Anmerkung: Wirtschaftswachstum ist ohne Wachstum des Energieverbrauchs nicht möglich. Auch die erneuerbaren Energiequellen können nicht unbegrenzt erweitert werden, da sie stets mit
Flächenverbrauch verbunden sind.
„Der Vorhang zu und alle Fragen offen“ (Bert Brecht)
(Text: Dr. Rudi Netzsch)