Gemeinsam Bayerns Natur schützen

Was ist eigentlich eine Art? Die Hybridzone zwischen Raben- und Nebelkrähe.

Zeichnung: Kristina Fraune
Zeichnung: Kristina Fraune

27.März 2023 

 

Beim Orni-Stammtisch in Drößling hatten sich gut 25 Ornis eingefunden. Den Vortrag zum Thema „Was ist eine Art?“ hielt Prof. Jochen Wolf vom Lehrstuhl für Evolutionsbiologie an der Ludwig-Maximilians Universität München. Prof.  Wolf hatte den Vortrag mit folgenden Informationen angekündigt:

Biodiversität beschreibt die Vielfalt des Lebens in all seinen Facetten. Vom Artenreichtum in den Tropen bis hin zur individuellen Variation einzelner Genvarianten in Familien. Im 21. Jahrhundert erleben wir den von uns allen verursachten rapiden Verlust dieser Vielfalt - das sechste große Massensterben in der Erdgeschichte.  Aber wie entstand die Vielfalt des Lebens überhaupt? Was ist eine Art? Welche mysteriöse Kraft generiert unablässig Neues? Nach kurzer geschichtlicher Einordnung nähern wir uns dieser Frage am Beispiel der Aaskrähe. In der Hybridzone zwischen Raben- und Nebelkrähe können wir Artbildung live und vor der Haustür beobachten. In den Milliarden Basenpaaren des Erbgutes suchen wir nach der Antwort auf die Frage wie diskrete Variation in der Blaupause des Lebens, der DNS kodiert wird. Dieser Vortrag gibt einen Einblick in die evolutionären Vorgänge des Lebens, welche die Vielfalt um uns und in uns selbst maßgeblich bestimmen. Und natürlich können wir die Frage erörtern, ob man Raben- und Nebelkrähe nun einzeln twitchen sollte, oder nicht?

Wie ist das nun mit Raben- und Nebelkrähe? Bei Linné (1751)  werden Raben- und Nebelkrähe noch als unterschiedliche Arten geführt. Bei Naumann (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1897) werden die beiden als Unterarten geführt. In älteren Bestimmungsbüchern (z.B. im Peterson der 1970er Jahre) wird als Art die Aaskrähe (Corvus corone) geführt; Raben-  und Nebelkrähe als Unterarten C.corone corone und C.corone cornix. Im neuesten Bestimmungsbuch (Svensson der 2010er Jahre) werden Rabenkrähe (Corvus corone) und Nebelkrähe (Corvus cornix) wieder als getrennte Arten geführt.

 

 

Prof. Jochen Wolf berichtete nun über seine über 10-jährigen Forschungsarbeiten zu den Krähen. Während der letzten Eiszeit haben sich die Krähen auf die iberische Halbinsel bzw. in den Nahen Osten (Iran/Irak) zurückgezogen. Vermutlich ist dann bei den östlichen Krähen eine „graue“ Mutation entstanden. Nach der Eiszeit haben sich die grauen und die schwarzen Krähen wieder ausgebreitet. Im Osten Deutschlands (ungefähr an der Elbe) sind die Verbreitungsgebiete der beiden Krähentypen  aneinandergestoßen, hier hat sich die Hybridzone gebildet, d.h. Raben- und Nebelkrähen hybridisieren in diesem Areal.

 

 

Die Untersuchungen am Genom der Krähenvögel haben überraschenderweise ergeben, dass die genetischen Unterschiede zwischen den spanischen und den deutschen Rabenkrähen wesentlich größer sind als die Unterschiede zwischen den Rabenkrähen (aus Deutschland) und den osteuropäischen Nebelkrähen. Diese unterscheiden sich im Genom nur bezüglich weniger Gene, die für die Farbgebung verantwortlich sind, ansonsten sind die Rabenkrähen aus Deutschland und die osteuropäischen Nebelkrähen genetisch identisch. Für die einzelnen Hybridtypen konnte anhand der genetischen Untersuchungen mögliche Varianten der Raben- / Nebelkrähenhybride vorhergesagt werden. Die einzelnen Typen unterscheiden sich dabei in der Farbgebung unterschiedlicher Körperpartieen.

 

Mit Hilfe von Ringfunddaten, die Aufschluss über die Dispersionsdistanz geben, und Informationen aus langjährigen genetischen Untersuchungen zum Ursprung der Farbgebung wurde ein mathematisches Modell entwickelt, in dem die Entwicklung der Hybridzone im Laufe der Zeit modelliert werden konnte. Es erklärt, dass heute beobachtbare Hybridzone allein mit Hilfe von sexueller Prägung auf gleichgestaltete Partner aufrechterhalten werden kann. Interessanterweise bewegt sich die Hybridzone in diesem Modell über Jahrtausende erst nach Osten und dann im Laufe vieler Generationen stark nach Westen. Das ist die Vorhersage eines Modells und damit natürlich spekulativ. Sie wird gegenwärtig  in der Forschungsgruppe mit sog.'alter DNS', die aus tausenden von Jahren alten Krähenknochen gewonnen werden kann, getestet.

 

Die wesentlichen Aspekte des Vortrags fasste Prof. Wolf folgendermaßen zusammen:

 

  • Artbildung ist ein Prozess
  • In Hybridzonen können wir diesen Prozess beobachten
  • Raben- und Nebelkrähen unterscheiden sich in einem sexuell selektierten Merkmal nur in wenigen Genen
  • Klimatische Prozesse waren daran maßgeblich beteiligt

 

 

 

Diese kurze Zusammenfassung kann natürlich nur einen kleinen Aspekt der im Vortrag geschilderten Phänomene darstellen. Genaueres findet man beispielsweise in diesem Artikel oder in einem kurzen Beitrag aus der ZEIT von 2014.  Im New Yorker ist 2021 ein englischsprachiger Artikel erschienen, der die Arbeiten von Prof. Wolf sehr ausführlich beschreibt.

 

Prof. Wolf verstand es beim Orni-Stammtisch ausgezeichnet, die komplizierten Zusammenhänge auch einem nichtwissenschaftlichen Publikum verständlich zu machen. Eine längere Diskussion schloss sich an und die Resonanz der Teilnehmer an diesem Orni-Stammtisch war sehr positiv. Ein herzliches Dankeschön an Prof. Jochen Wolf für einen wirklich gelungngen Abend.

 

(Text: Pit Brützel; Grafiken aus dem Vortrag von Prof. Jochen Wolf)