Gemeinsam Bayerns Natur schützen

Warum wird Vogelbeobachtung vor der Haustür nie langweilig?

15.3.2017   Dieses Mal hatte der Ornistammtisch einen besonderen Referenten. Dr. Einhard Bezzel, 33 Jahre Leiter der Staatlichen Vogelschutzwarte in Garmisch-Partenkirchen und bekannter Ornithologe, hatte sich bereit erklärt zum Thema „ Warum wird Vogelbeobachtung vor der Haustür nie langweilig?“ vorzutragen. Der Nebenraum im Plonner in Oberpfaffenhofen war brechend voll, über 40 Interessierte waren zum Ornistammtisch gekommen. In einem überaus interessanten Vortrag berichtete Dr. Bezzel über Ergebnisse diverser langfristiger Beobachtungsreihen vor seiner  Haustür im Werdenfelser Land.

Buchfink (Foto: Ursula Wiegand)
Buchfink (Foto: Ursula Wiegand)

Bei der Vogelschutzwarte, die sich bis zum Amtsantritt von Dr. Bezzel in den 60iger Jahren mehr  mit der Bekämpfung von Schädlingen und der Förderung von Nützlingen beschäftigte als mit ornithologischen Fragestellungen, wurde eine langfristige Beobachtungsreihe aufgesetzt. Dazu wurden alle Vögel, die rund um das Gebäude der Vogelschutzwarte beobachtet werden konnten,  notiert. Dr. Bezzel nannte dieses Programm scherzhaft „bayrische Staatsbedienstete  schauen aus dem Fenster und zählen Vögel“. Aus diesem Programm wurden beispielhaft einige Ergebnisse vorgestellt. Der erste Gesang der Buchfinken sich in den letzten 40 Jahren stark vorverlegt. Im Schnitt singt der Buchfink pro Jahrzehnt der Beobachtungsreihe um 5 Tage früher. Ein Zugvogel wie die Mönchsgrasmücke kommt immer früher in unserem Gebiet an und zieht immer später weg. Die Vögel waren also schon frühzeitige Anzeiger für den Klimawandel. Allerdings sind die Interpretationen der Beobachtungen nicht ganz einfach. Bei der Kohlmeise bspw. wurde ebenfalls eine Vorverlagerung des 1. Gesangs über die Jahre festgestellt. Der Bruterfolg, d.h. das erste Auftauchen flügger Jungvögel blieb allerdings über die Jahre konstant.

Mönchsgrasmücke (foto: Ursula Wiegand)
Mönchsgrasmücke (foto: Ursula Wiegand)

Ein zweites Programm war die Untersuchung der Talregion zwischen Garmisch-Partenkirchen und Murnau. Dazu wurden in 30 Jahren Abstand über 3 Jahre hinweg zwei Zählreihen durchgeführt. In diesen 30 Jahren hat sich die Individuenanzahl der beobachteten Vögel um 36% verringert. Bei 29 der festgestellten Arten hat sich die Individuenzahl um mehr als 50% verringert, nur bei 5 Arten hat sich die Anzahl verdoppelt. Ein besonders starker Rückgang konnte bei den Vögeln der Feldflur wie Braunkehchen (Abnahme um 74%)  und Feldlerche (Abnahme um 84%) festgestellt werden. Eine ausführliche Darstellung der vielfältigen  Ergebnisse dieser Untersuchung findet man in folgender Veröffentlichung von Dr. Bezzel. 

Kohlmeise (Foto: Thomas Hafen - www.natur-fotografieren.de)
Kohlmeise (Foto: Thomas Hafen - www.natur-fotografieren.de)

Abschließend berichtete Dr. Bezzel noch über „Seniorenornithologie“. In einer Untersuchung zur saisonalen Bestandsdynamik, die er seit 2008 durchführt, wird jeden Monat die Vogelwelt in Garmisch Partenkirchen untersucht. Dazu werden auf  8 Routen pro Monat durch das Stadtgebiet und seine Umgebung eine Linie von insgesamt 57,5 km zwischen 8 und 11 Uhr bei geeigneten Witterungsverhältnissen abgeschritten und dabei die Individuenkontakte gezählt. Seit Beginn des Programms ist Herr Bezzel gut 6.200 km gelaufen, das entspricht der Strecke von Garmisch bis zur Mongolei. Aus dieser Untersuchung wurden diverse Ergebnisse vorgestellt. Besonders interessant war die jahreszeitliche Verteilung von Arten wie Hausrotschwanz und Stieglitz. Dazu wurden die Planquadrate des Untersuchungsgebiets in 2 Klassen eigeteilt – in Gebiete mit mehr als 50% Bebauung („Stadt“) und in Gebiete mit weniger als 50% Bebauung („Stadtrand“). In der ersten Jahreshälfte entwickelten sich die Bestände in den beiden Gebieten ähnlich, ab Juli konnte nachgewiesen werden, dass die Bestände in den „Stadtgebieten“ stark zurückgehen, während sie in den „Stadtrandgebieten“ stark zunehmen. Die Vögel müssen also nach der Aufzucht der Jungen „umziehen“, um genügend Nahrung zu finden. Ursache ist vermutlich die Art und Weise der Gartenpflege in den Stadtgebieten. Ein Bonmot von Loriot zu diesem Thema: „Der Gärtner bedient sich hierzu waffenähnlicher Werkzeuge.“ Aufräumwahn, exotische Pflanzen  und häufiges Mähen der Grünflächen führen zu einem Nahrungsengpass im Hochsommer, so dass die Vögel auf die Stadtrandgebiete ausweichen müssen.

Hausrotschwanz (Foto: Bernhard Glüer)
Hausrotschwanz (Foto: Bernhard Glüer)

Neben diesen drei Untersuchungen gab es noch eine Vielzahl an Informationen und Anekdoten zur Vogelbeobachtung, den Roten Listen, zu Statistiken, Entdeckungswahrscheinlichkeiten und besonderen Beobachtungen.  Eine Darstellung all dieser Themen würde aber den Umfang dieses Berichts sprengen. An den Vortrag schloss sich eine längere Diskussion an, bei der alle gestellten Fragen ausführlich beantwortet werden konnten. Besonderen Wert legte Dr. Bezzel dabei auf die Feststellung, dass Natur dynamisch sei und dass die Betrachtung der dynamischen Veränderung der Bestände wesentlich wichtiger sei als die Ermittlung absoluter Bestandszahlen. Mit einem lang anhaltenden Applaus bedankten sich die Zuhörer beim Referenten. Viele werden wohl nun auch die Allerweltsarten vor der Haustür mit anderen Augen betrachten.

 

Ein großes Dankeschön an Dr. Einhard Bezzel, der alle Teilnehmer mit seinem Vortrag begeisterte.

 

(Text: Pit Brützel)