Es ist Mitte Juli, und ein kleiner Greifvogel taumelt an meinem Fenster vorbei. Die Landung im Baum wirkt noch etwas unbeholfen. Vom Nachbarzimmer aus sehe ich: Es ist ein junger Falke, der dort
im Geäst turnt, und sich schließlich sein Gefieder wieder zurecht zupft. Er scheint der erste flügge gewordenen Jungvogel der diesjährigen Brut zu sein.
Seit zwei Jahren verbringe ich meine Arbeitstage in Gesellschaft von Turmfalken. Nein, ich habe nicht das Glück, im Tierschutz oder als Falkner meine Brötchen zu verdienen, sondern gehe einem
ganz normalen Bürojob in Bayerns Landeshauptstadt nach. Doch schräg über meinem Fenster, in der Leuchtreklame meines Arbeitgebers, hat sich ein Brutpaar niedergelassen. Turmfalken bauen - wie
alle Falken - keine Nester, aber in der inneren Rundung des Buchstaben "O" , haben "meine" Falken in einem ehemaligen Krähennest ihre Heimat gefunden. Ob die Übernahme friedlich erfolgte, ist mir
nicht bekannt. Aber die Krähenfamilie residiert inzwischen in den "Buchstaben" um die Ecke, und Nachbarschaftsstreitigkeiten in der Luft bleiben oft nicht aus.