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Brutverhalten im Klimawandel

Anhand von 4,7 Millionen Einzelbeobachtungen des Meldeportals ornitho.de untersuchte Sarah Siemers in einer Seminararbeit (Christoph Probst Gymnasium Gilching - 12. Klasse) zum Rahmenthema "Klima und Meteorologie" die Auswirkungen des Klimawandels auf das Brutverhalten einheimischer Vögel. Während unbestritten ist, dass der Klimawandel Einfluss auf die Tier- und Vogelwelt hat, sind quantitative Aussagen schwierig. Gelingt es, belastbare Schlüsse aus einer großen Menge von Zufallsbeobachtungen ziehen?

brütendes Blässhuhn (Foto: Pit Brützel)
brütendes Blässhuhn (Foto: Pit Brützel)

Als uns in der Schule mitgeteilt wurde, dass wir uns mit der Seminararbeit auf ein von uns selbst gewähltes Thema – das aber immer noch mit dem Rahmenthema des Seminars zusammenhängt – spezialisieren können, war ich mir fast sofort sicher, dass ich mein Rahmenthema „Klima und Meteorologie“ mit der Ornithologie in Verbindung bringen wollte.

 

Nach einigem Hin und Her entschied ich mich auf den Vorschlag von Christopher König von ornitho.de hin, die Auswirkungen der Temperatur auf den Brutbeginn zu untersuchen. Dafür nutzte ich die Daten des Vogelmeldeportals ornitho.de die ich freundlicherweise für 11 verschiedene Arten in den Jahren 2012 – 2020 zur Verfügung gestellt bekommen habe – insgesamt 4,7 Millionen Datensätze! Gerhard Huber hat eine großen Teil der statistischen Auswertung übernommen und mich bei meiner Arbeit unterstützt. Einige der in der Arbeit verwendeten Grafiken werden im Folgenden gezeigt und erläutert.

Abbildung 1: Anteil der Meldungen mit Brutnachweis („C-Meldungen“) an allen Meldungen im jeweiligen Jahr als Funktion der Zeit.
Abbildung 1: Anteil der Meldungen mit Brutnachweis („C-Meldungen“) an allen Meldungen im jeweiligen Jahr als Funktion der Zeit.

 

Inspiriert von einem Artikel im „Falke“ von Christopher König, Stefan Stübing und Johannes Wahl (Der Falke 08/2014), wird der Anteil der C-Code-Meldungen an den Gesamtmeldungen pro Kalenderwoche für jedes Jahr erstellt (Abbildung 1).

 

Abbildung 1 zeigt den Anteil der Meldungen mit Brutnachweis („C-Meldungen“) an allen Meldungen im jeweiligen Jahr als Funktion der Zeit examplarisch für das Blässhuhn. Ab etwa Woche 10 beginnen die brutrelevanten Beobachtungen, wobei der Verlauf für jedes Jahr sehr ähnlich ist, aber manchmal zeitversetzt abläuft.

 

Auffällig sind dabei die Jahre 2014 und 2013: das Jahr 2014 ist bei allen der 11 untersuchten Vogelarten unter den am schnellsten steigenden und am höchsten liegenden Kurven, während das Jahr 2013 genau das Gegenteil darstellt.

Abbildung 2: Zuordnung des Zeitpunkts t0 zu den Beobachtungsdaten
Abbildung 2: Zuordnung des Zeitpunkts t0 zu den Beobachtungsdaten

 

Um den Zeitpunkt, wann das Brutgeschehen im jeweiligen Jahr beginnt, quantifizieren zu können, wird aus der Kurve ein charakteristischer Parameter t0 extrahiert, der als Maß für den Beginn des Brutgeschäfts dieser Art in dem jeweiligen Jahr gesehen werden kann. Je größer t0, desto später findet das Brutgeschehen statt. Abbildung 2 illustriert die Ableitung von t0.

 

Basierend auf einem heuristischen Modell (blaue Linie) wird jedem Verlauf ein charakteristischer Zeitpunkt t0 zugeordnet. Zu diesem Zeitpunkt wird gerade die halbe Höhe des Maximums erreicht (was aber willkürlich und irrelevant ist). Durch den Parameter t0 werden die Verläufe verschiedener Jahre quantitativ vergleichbar. t0 kann als Maß für den Beginn der Brutperiode der Art gesehen werden. t1 ist ein alternativer Parameter, auf den hier nicht eingegangen wird.

Abbildung 3: Orange Linie/rechte Achse: Charakteristischer Brutbeginn t0 in Wochen. Blaue Linie/linke Achse: Monatsmitteltemperatur (März) (abzüglich Mittelwert).
Abbildung 3: Orange Linie/rechte Achse: Charakteristischer Brutbeginn t0 in Wochen. Blaue Linie/linke Achse: Monatsmitteltemperatur (März) (abzüglich Mittelwert).

 

Hat man auf diese Weise für jedes Jahr den Parameter t0  bestimmt, kann man seine langjährige Entwicklung darstellen. So geschehen in Abbildung 3 (orange Kurve) für das Blässhuhn für die Jahre 2012-2020. Die orange Linie / rechte Achse in Abbildung 3 zeigt den charakteristischen Brutbeginn t0 in Wochen des Blässhuhns in den Jahren 2012-2020. Ein kleiner Wert entspricht früher Brut.

 

Ein deutlicher Trend ist nicht zu sehen. Man sieht allerdings, dass der Beginn der Brutperiode von Jahr zu Jahr um bis zu 1.8 Wochen (knapp 13 Tage) fluktuiert. Woher kommen diese scheinbar zufälligen Fluktuationen?

 

Eine mögliche Erklärung erhält man, wenn man in denselben Graphen die Märztemperaturen der jeweiligen Jahre einträgt (blaue Linie). Der Zusammenhang ist geradezu frappierend: Jahre mit frühem Brutbeginn (kleines t0 ) scheinen mit warmen Märztemperaturen (große Temperatur) zusammenzufallen.

 

Daraus ließe sich folgern, dass kalte Temperaturen im Frühling möglicherweise das Brutgeschehen der ausgewählten Arten beeinflussen, indem sie den Brutbeginn nach hinten verschieben. In warmen Jahren ist eventuell das Gegenteil der Fall. Kann man das quantitativ nachweisen?

Abbildung 4: Verzögerung des Brutbeginns beim Blässhuhn als Funktion der mittleren Monatstemperatur im März des jeweiligen Jahres.
Abbildung 4: Verzögerung des Brutbeginns beim Blässhuhn als Funktion der mittleren Monatstemperatur im März des jeweiligen Jahres.

 

Um das zu untersuchen, wird im nächsten Schritt der jahresabhängige Wert von t0 mit der durchschnittlichen Märztemperatur (Daten des Deutschen Wetterdienstes) der neun untersuchten Jahre korreliert. Das Ergebnis für das Blässhuhn ist in Abbildung 4 gezeigt.

 

Abbildung 4 zeigt die Verzögerung des Brutbeginns beim Blässhuhn als Funktion der mittleren Monatstemperatur im März des jeweiligen Jahres. Jeder Punkt im Diagramm entspricht einem Jahr. Offenbar beginnt die Brut umso früher, je wärmer es im März war. Als „Temperaturanomalie“ wird hier die Abweichung zum langjährigen Mittelwert bezeichnet.

 

Es wird deutlich, dass kalte Temperaturen im Monat März offenbar mit einem späten Brutbeginn, also einem späteren Zeitpunkt von t0 einhergehen, während in Jahren mit einem wärmeren März die Brut früher beginnt.

 

Mathematisch gesprochen sind Brutbeginn und Märztemperaturen stark korreliert. Die Signifikanz der Korrelation ist mit einem p-Wert von 0.1% sehr hoch (d.h. es ist extrem unwahrscheinlich, dass das Ergebnis in der Abbildung Zufall ist). An der Steigung der Geraden in Abbildung 4 lässt sich ablesen, dass das Blässhuhn statistisch gesehen pro 1°C höherer Märzdurchschnittstemperatur 1,6 Tage früher beginnt zu brüten.

 

Dieses Ergebnis und vor allem die hohe Signifikanz des Zusammenhangs hat uns erstaunt – umso mehr, da sie bei vielen Arten nachgewiesen werden kann. Das oben beschriebene Verfahren wurde auf 11 Arten angewendet. Bei fast allen konnte ein Zusammenhang zwischen Brutzeitperiode und Monatstemperatur nachgewiesen werden. Der jeweils relevante Zeitraum (oben im Beispiel der Monat März) ist dabei bei jeder Art individuell (liegt jedoch häufig im März). Während dieser Zeitspanne beeinflusst die Temperatur wahrscheinlich maßgeblich den Zeitpunkt des Brutbeginns. So gut wie immer wird die Brut bei wärmeren Temperaturgegebenheiten vorverlegt. Im Zuge des Klimawandels muss man also damit rechnen, dass viele Vögel ihr Brutverhalten dauerhaft anpassen müssen. Oder dass das Brutverhalten nachhaltig gestört wird, sollte eine Anpassung nicht möglich sein.

 

(Text: Sarah Siemers/ Gerhard Huber)