Zielarten? Jeder Vogel zählt
Doch zurück auf die Moorfläche, die neben Nadelwald, einem kleinen Dorf und Wiesen die Landschaft meiner Probefläche prägt. Viermal im Jahr gehe ich, ausgerüstet mit Fernglas, Karte, Stift und
Bestimmungsbuch, innerhalb festgelegter Zeiträume eine drei Kilometer lange Route ab. Linienkartierung nennt man das. Kartiert werden alle vorkommenden Vogelarten, vom Wintergoldhähnchen über die
Tannenmeise bis zum Mäusebussard. Häufig muss der Hörnachweis genügen und ich bekomme das Tier selbst gar nicht zu Gesicht. Trotzdem bin ich dreieinhalb Stunden unterwegs.
Zugegeben, meine Fläche ist kein Arten-Hotspot, spektakuläre Seltenheiten sind eher nicht zu erwarten. Faszinierend ist die Aufgabe trotzdem. Man wird über die Jahre zum Experten für “sein“
Gebiet. Ich weiß inzwischen genau, wo die Heckenbraunelle Jahr für Jahr singt, an welcher Stelle mit dem Baumpieper zu rechnen ist, an welchem Streckenpunkt normalerweise der Gimpel auftaucht. Da
setzt sich ein richtiges Bild zusammen.
Neuntöter übersehen?
Und dann sind da natürlich die besonderen Beobachtungen, wenn man eine Art – oft erst nach Jahren – erstmals im Gebiet feststellt. Der Neuntöter zum Beispiel, der sich jahrelang erfolgreich vor
mir “versteckt“ hatte, meine Probefläche aber vielleicht auch erst neu erobert hat. Die heimliche Waldschnepfe, die ich dann doch irgendwann entdeckt habe. Der Wespenbussard, der wohl nur auf der
Durchreise war.
61 Arten sind in sechs Jahren bislang zusammengekommen, gut zwei Drittel davon konnte ich als Brutvögel melden. Und da wird’s jetzt ein wenig knifflig. In welchen der vier Kartierperioden zeigt
sich der Vogel auf der Probefläche, welches Verhalten legt er an den Tag, wären überhaupt Brutplätze vorhanden? All‘ das fließt am Ende der Saison in die Auswertung ein. Man muss da bei den Arten
gut unterscheiden. Die Misteldrossel etwa kann in allen vier Zeiträumen als Brutvogel gelten, der Fitis nur, wenn er in der letzten Periode ab Ende Mai festgestellt wird. Beim Rotmilan liegt nur
der erste Zeitraum im März außerhalb der Brutsaison. Meine zu Beginn geschilderte Beobachtung mag also beeindruckend gewesen sein, relevant fürs Ergebnis war sie nicht.