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Technische Hilfsmittel zur Vogelbestimmung

Interview zum Thema Vogelbestimmungs-Apps mit den beiden Kursleitern des Vogelbestimmungskurses Thomas Hafen und Pit Brützel

Foto: Andreas Fischer
Foto: Andreas Fischer

 Thomas, Pit Ihr als passionierte Ornithologen und Vogelkenner – wie ist Eure generelle Haltung zum Thema Vogelbestimmungs-App?

 

Thomas:

Apps sind ein tolles Handwerkszeug. Sie erleichtern das Bestimmen von Vögeln deutlich. Wenn ich denke, dass ich früher ein pfundschweres Bestimmungsbuch mit mir herumgeschleppt habe, das heute als App auf mein Smartphone passt, ist das schon ein großer Fortschritt. Besonders beeindruckend sind die Apps, die auf künstlicher Intelligenz (KI) beruhen. Da wurden in den vergangenen Jahren enormen Fortschritte erzielt.

 

Apps ersetzen aber auf keinen Fall solide Kenntnisse in der Vogelbestimmung, wie wir sie beispielsweise in unserem Kurs vermitteln. Was passiert, wenn jemand unkritisch und ganz offensichtlich ohne Grundkenntnisse Vogelbestimmung betreibt, kann man jedes Jahr bei der „Stunde der Wintervögel“ beobachten. Da werden Arten wie Wespenbussard oder Turteltaube gemeldet. Das sind Langstreckenzieher, die in Afrika überwintern, und deren Auftreten im Winter extrem unwahrscheinlich ist – und die ganz offensichtlich mit häufigen Arten wie dem Mäusebussard und der Türkentaube verwechselt wurden.

 

Pit:

Grundsätzlich finde ich solche Vogelbestimmungs- Apps eine interessante Erweiterung des technischen Spektrums. Allerdings braucht man für eine sinnvolle Verwendung solcher Apps auf jeden Fall Grundkenntnisse über die Vogelwelt und über Vogelbestimmung. Man muss zum Beispiel einschätzen können, ob die Jahreszeit, der besuchte Lebensraum und weitere Beobachtungsumstände zu der von der App identifizierten Vogelwelt passen. Außerdem ist Vorsicht geboten, denn auch die Apps sind nicht vollständig fehlerfrei. Die von der App identifizierte Vogelart sollte normalerweise nur ein Hinweis auf eine mögliche Art, und keine 100%ige Bestimmung sein.  In meinem Berufsleben gab es einen flapsigen Satz über die Verwendung von Werkzeugen: „A fool with a tool is still a fool.“ Und das gilt auch für die Verwendung des Werkzeugs Vogelbestimmungs-.App.

 

Kommt bei Euren Exkursionen und Monitoring-Einsätzen auch mal solch eine App zum Einsatz?

 

Thomas:

Ja, ständig. Ich nutze Apps zur Bestimmung und zur Erfassung auf jeder Exkursion und beim Monitoring – vorausgesetzt ich vergesse das Smartphone nicht zu Hause oder der Akku macht unterwegs schlapp ;-). Dann muss ich mich wieder auf meine Augen und Ohren verlassen und mit Papier und Bleistift erfassen.

 

Pit:

Ich verwende eine Vogelbestimmungs-App (in meinem Fall Merlin) für die Bestimmung von Lautäußerungen bei folgenden Gelegenheiten:

a) zur Bestätigung meiner eigenen Bestimmungen. Wenn ich bei der Bestimmung von Gesängen/Rufen mit einer Artbestimmung nicht vollständig sicher bin, lasse ich Merlin „zuhören“ und meine Bestimmung bestätigen oder widerlegen.

b) als verstärkendes Mikrofon. Da ich altersbedingt nicht mehr allzu gut höre, lasse ich Merlin manchmal laufen, um auch sehr leise singende/rufende oder weit entfernte Vögel mitzubekommen. Man kann in der App dann die aufgenommenen Passagen abspielen, bei denen der Vogel identifiziert wurde und kann dann selbst einschätzen, ob Merlin hier richtig identifiziert hat.

c) bei ungewöhnlichen oder mir völlig unbekannten Vogelstimmen 

 

 

Wenn Ihr eine Empfehlung abgeben müsstet, welche Apps sind aus Eurer Sicht nennenswert?

 

Thomas:

Ganz klarer Favorit unter den Bestimmungs-Apps ist „Der Kosmos Vogelführer“. Man bekommt nicht nur die fantastischen Abbildungen aus dem Standardwerk als App, sondern auch noch zusätzlich die Stimmen der Vögel in Form von Audiodateien, kann ähnliche Arten vergleichen, sich den wissenschaftlichen Artnamen oder den Namen in den unterschiedlichsten Sprachen anzeigen lassen, und vieles mehr. Optional lassen sich die Verbreitungskarten aus ADEBAR, dem Atlas deutscher Brutvogelarten anzeigen oder Videos zu einzelnen Arten laden.

Für das Erfassen ist die App „NaturaList“ unverzichtbar. Mit ihr können Beobachtungen punktgenau protokolliert und in die Plattform ornitho.de übertragen werden, die deutschlandweit alle Beobachtungsdaten sammelt und für Auswertungen zur Verfügung stellt. NaturaList zeigt außerdem optional an, welche Arten, beziehungsweise seltenen Arten in den letzten Tagen in der Nähe gesehen wurden. Das ist vor allem in einem fremden Gebiet super. Eine tolle App, die auf KI basiert, ist „Merlin Bird ID von Cornell Lab“. Ich nutze sie vor allem, um Gesänge oder Rufe zu identifizieren, was erstaunlich gut klappt. Oft erkennt Merlin einen Vogel, bevor ich ihn entdeckt habe. Ich schreibe eine Art allerdings nur dann als beobachtet auf, wenn ich sie selbst gehört oder gesehen habe. Die KI macht nämlich durchaus Fehler und man sollte sich nicht hundertprozentig auf sie verlassen.

 

Pit:

Eine uneingeschränkte Empfehlung für Merlin. Die App identifiziert mit hoher Sicherheit (ich hatte bislang nur sehr wenige Fehl “bestimmungen“) die Vogelarten in Mitteleuropa. Außerdem ist die App auch für andere Gegenden der Welt konfigurierbar und ist so auch im Urlaub gut zu verwenden.

 

Habt Ihr für Hobbyornithologen noch weitere Tipps zum Einstieg? Wie sieht es beispielsweise mit der Anschaffung eines Fernglases aus?

 

Thomas:

Klar, ein Fernglas gehört zur Grundausstattung jedes Vogelbeobachters. Hier gilt wie so oft: Wer billig kauft, kauft doppelt. Deshalb sollte man das beste Fernglas kaufen, das man sich leisten kann. Empfehlenswerte Marken im Einsteigerbereich sind Nikon und Minox. Richtig gute Ferngläser bekommt man bei Leica, Swarowski und Zeiss. Bei den Spitzenmarken sind die qualitativen Unterschiede sehr gering. Es kommt eher auf persönliche Vorlieben an, etwa mit welcher Scharfstellung man besser zurechtkommt, oder ob man Brillenträger ist. Am besten, man vergleicht ein paar Modelle im Fachhandel – und kauft sie bitte dann auch dort und nicht online!

Mit Fernglas und Apps ausgerüstet, schließt man sich dann am besten einer Gruppe erfahrener Vogelbeobachter, die regelmäßig Exkursionen und Vorträge bieten, denn der Informationsaustausch und das Lernen von anderen ist auch bei der Vogelbeobachtung extrem wichtig. Mit Apps allein wird man niemals zum erfahrenen Birder.

 

Pit:

Wichtiger als eine Bestimmungs-App ist die Verwendung eines guten Bestimmungsbuchs. Außerdem lernt man Vogelbestimmung am besten von anderen. Zum Beispiel über unseren Vogelbestimmungskurs an der Volkshochschule, über geführte Exkursionen wie z.B. unsere Reihe „birdwatching mit dem LBV Starnberg“ oder noch besser mit einem Bekannten, der/die sich mit Vogelbestimmung auskennt. Fernglas ist unabdingbar, am besten lässt man sich hier in einem Fachgeschäft beraten.

 

Herzlichen Dank für diese sehr informative Beantwortung der Fragen. Wir würden uns freuen, wenn wir hiermit Vogelinteressierten mehr Unterstützung geben und Begeisterung vermitteln können.

 

Fotos: Andreas Fischer / ©Merlin Bird ID

Interview und Text: Katharina Roppert-Engert - Stegen, im Februar 2024