Gemeinsam Bayerns Natur schützen

Blinder Passagier auf der "Starnberg"

Steinwälzer (Foto: Claudia Höll)
Steinwälzer (Foto: Claudia Höll)

Am Mittwoch, den 18. August 2021, hatten zwei Mitglieder der ASO unabhängig voneinander eine Idee: Auf dem Katamaran „Starnberg“ das Sommerwetter bei der Schlösserfahrt genießen. Von den Schlössern und der Alpenkulisse bekamen beide Vogelbeobachterinnen allerdings schnell nichts mehr mit.

 

Ulla beschrieb die Situation wie folgt: „Anfangs hab ich mich geärgert, dass ich das Fernglas nicht dabei hatte, alle Vögel auf dem Wasser waren so weit weg! Kurz nach der Abfahrt in Possenhofen ist hinten auf dem Deck ein kleiner Vogel reingeflogen, anfangs dachte ich, da fliegt eine Möwe vorbei! Aber in der Tat spazierte kurz drauf ein kleiner Vogel auf dem Deck und suchte offensichtlich nach Nahrung, ließ sich von den Passanten nicht stören. Nicht einmal die Anwesenheit eines Kindes konnte ihn stören. Für mich war es ein unbekannter Vogel, versuchte sofort Fotos zu machen (mit Handy, furchtbar!). Ein Passagier versuchte, ihm Semmelkrümel oder ähnliches zu füttern, hat er aber abgelehnt. Immer wieder tauchte dieser kleine Vogel auf, verschwand mal seitlich kurz und kam dann wieder; dann auch ganz in unsere Nähe. Ich musste nicht aufstehen, er kam direkt auf uns zu, und so konnte ich wenigstens ein paar Kennungsfotos machen. In Tutzing angekommen, ist auch der kleine Mitreisende abgereist. Abends habe ich in meinen Büchern studiert und kam auf den Steinwälzer, war eigentlich der einzige Mögliche. Abgesichert habe ich mich bei Antje und Ursula, dafür Dankeschön!“.

Steinwälzer (Foto: Birgit Bauer)
Steinwälzer (Foto: Birgit Bauer)

Und in der Tat, anstatt der Schlösserkulisse wurde ein Steinwälzer zum Highlight des Tages. Die andere Beobachterin sah den Vogel zwischen Hunden auf dem Schiff umherlaufen und in Wasserpfützen baden.

 

Offensichtlich hatte sich der Steinwälzer schon einige Tage zuvor am Starnberger See eingefunden. Am Wochenende 14./15.08.2021 gab es bereits zwei unabhängige Sichtungen des Vogels, die an den LBV Starnberg gemeldet wurden. Auch hier blieb der gefiederte Gast seiner Linie treu: Sowohl am Samstag als auch am Sonntag hielt er sich längere Zeit auf privaten Segelbooten auf und fuhr bei gehissten Segeln eine Runde auf dem See mit. Die Seglerinnen und Segler beschrieben den Vogel als sehr zutraulich. Er kam nah an die Menschen heran, pickte Krümel vom Deck und nahm Wasser auf. Dank der gesendeten Fotos, konnte der blinde Passagier schnell als diesjähriger Steinwälzer identifiziert werden. Dass der junge Vogel so wenig Scheu zeigt, könnte also auch daran liegen, dass er bisher kaum (schlechte) Erfahrungen mit Menschen bzw. durch Menschen verursachten Störungen gemacht hat. Denn die Art brütet hauptsächlich in nahezu menschenleeren Gebieten im arktischen Raum, z. B. an den Nordküsten Skandinaviens, Russlands und Kanadas sowie auf Grönland.

Steinwälzer (Foto: Christina Lidl)
Steinwälzer (Foto: Christina Lidl)

 

 

 

Die Beobachtung des Steinwälzers im Landkreis Starnberg zählt somit zu den großen Besonderheiten im Jahr 2021. Schon Anfang August rastete ein Altvogel am Starnberger See. Davor wurde die Art zuletzt 2019 im Landkreis Starnberg gesichtet. Laut der diesjährigen Roten Liste gelten Steinwälzer als Brutvögel in Deutschland als ausgestorben. Sie kommen, wenn überhaupt, nur noch auf der Durchreise bei uns vor. An den Küsten Europas ist der Steinwälzer dagegen noch häufiger zu beobachten. Hier verbringt er die Wintermonate. Der Name „Steinwälzer“ stammt übrigens daher, dass die Vögel bei der Nahrungssuche Steine, Muscheln und Tang umdrehen, um dort nach Weichtieren, Insekten oder Sämereien zu suchen.

 

Steinwälzer (Foto: Claudia Höll)
Steinwälzer (Foto: Claudia Höll)

 

Am 20. August 2021 konnte der junge Steinwälzer nochmal an der Promenade in Starnberg gesichtet werden. Dort ist er zuerst bei einer Gruppe Jugendlicher zwischen ihren Handtaschen und Semmeltüten herumgelaufen. Die Jugendlichen haben aus Unwissenheit versucht, den aufdringlichen Vogel zu verscheuchen, als sich dieser davon unbeeindruckt zeigte, haben sie begonnen, ihn zu füttern.

 

Der Steinwälzer scheint allerdings die „Starnberg“ für sich entdeckt zu haben. Kaum hat sich das Schiff dem Ufer genähert, ist er zuerst auf den Dampfersteg geflogen und sobald das Schiff gehalten hat, hat er seinen Platz auf dem Schiff bezogen. Beim Schiffspersonal trägt der blinde Passagier inzwischen den Spitznamen „Felix“.

 

 

Am 23. August 2021 wurde der Steinwälzer noch einmal am Ammersee gesehen und im ornitho gemeldet. Seitdem ist er wohl weitergezogen und hat die Region verlassen.

 

 

(Text: Claudia Höll, Ulla Bulla, Andrea Gehrold)