Der "Orni"-Stammtisch am 17. September 2014 war gut besucht. Über 20 Ornis waren trotz des parallel laufenden Fußballspiels da und haben ihr Kommen sicher nicht bereut. Jörg Günther hielt
einen hervorragenden Vortrag über den Vogelzug.
Er begann bei den Vorstellungen der Antike über den Vogelzug. Das ging von der Verwandlungstheorie (die Rotschwänze des Sommers verwandeln sich in die Rotkehlchen des Winters) bis zu der Theorie,
dass die Schwalben in den Gewässern einen Winterschlaf halten würden.
Unter Vogelzug versteht man heute die regelmäßig von „innen“ gesteuerte Bewegung zwischen Brut- und Nichtbrutgebieten. Der Vogelzug ist saisonal regelmäßig wiederkehrend und läuft nach
einem genetisch festgelegten Zeit-Richtungsprogramm ab. Dabei werden unglaubliche Flugleistungen erbracht. Die Küstenseeschwalbe pendelt jedes Jahr zwischen ihren Brutgebieten in Grönland zu
ihren Überwinterungsgebieten in der Antarktis und legt dabei im Laufe ihres Lebens eine Strecke von ca. 1 Million Kilometer zurück.
Neben diversen Theorien über die Entstehung des Vogelzugs berichtete Jörg Günther über die Erkenntnisse zur Steuerung und Orientierung beim Vogelzug. Vögel haben 3 verschiedene Systeme zur
Orientierung: Einen Sonnenkompass, einen Sternenkompass und einen Magnetkompass. Diese Kompasssysteme werden während des Zugs multifunktionell eingesetzt. Ungeklärt ist noch die Zielorientierung
der Zugvögel, d.h. die Frage, wie findet die Rauchschwalbe ihr Nest aus dem Vorjahr wieder.
Eindrucksvoll waren die Darstellungen zur Energieleistung, die die Zugvögel vollbringen. So fliegen bspw. die Knutts, eine Limikolenart, von ihren Brutgebieten in Sibirien über 2
„Tankstellen“ (das Wattenmeer in Norddeutschland und die Banc d´Arguin in Mauretanien) in ihr Überwinterungsgebiet im südwestlichen Afrika. Der Flug zwischen den „Tankstellen“ geht dabei
nonstop(!) über ca. 7000 Kilometer. An den „Tankstellen“ kommen sie ziemlich entkräftet an und bleiben dort ca. 3 Wochen, um ihre Energiereserven wieder aufzuladen. In dieser Zeit erreichen sie
eine Gewichtszunahme von ca. 30 %. Hier sieht man deutlich, welche Bedeutung störungsarme und nahrungsreiche Rastplätze für den Vogelzug haben.
Beim Steinschmätzer, einem relativ kleinen Singvogel, wurde nachgewiesen, dass er auf dem Zug von der Baffininsel in Kanada bis nach Europa ca. 3400 Kilometer nonstop über das Meer fliegt. Er
braucht für diese Strecke ungefähr 4 Tage, d.h. er fliegt mit einer Geschwindigkeit von ca. 35 km/h.
Die Steinschmätzer aus Alaska wählen eine Zugroute über den Pazifik und sind dabei knapp 15.000 km unterwegs. Für den Zug in die Überwinterungsgebiete benötigen sie dabei ca. 3 Monate.
Der Heimzug in die Brutgebiete verläuft mit 55 Tagen dagegen sehr viel schneller.
Besonders beeindruckend waren die Darstellungen zur Evolution, die man aus dem Zugverhalten der Mönchsgrasmücke ableiten kann. Die Mönchsgrasmücke in Mitteleuropa zieht im Winter ans
Mittelmeer und nach Afrika. Infolge der natürlichen Streuung gab es aber auch immer Individuen, die einen anderen Zugweg eingeschlagen haben, so z.B. nach England. Die Überlebensrate im Winter in
England war aber wohl sehr gering. Seit dem 2. Weltkrieg gibt es in England vermehrt Winterfütterungen, die auch von der Mönchsgrasmücke genutzt werden konnten. So überlebten den Winter
immer mehr nach England ziehende Grasmücken. Diese kommen auf Grund des kürzeren Zugwegs früher in den Brutgebieten in Mitteleuropa an und haben so einen Vorteil gegenüber den in Afrika
überwinternden Artgenossen. Man kann nachweisen, dass Nachkommen von Altvögeln, die als Überwinterer in England gefangen wurden, eine andere Zugrichtung einschlagen als Nachkommen von
Mönchsgrasmücken, die dem traditionellen Zugweg folgen. Eine faszinierende Beobachtung einer evolutionären Entwicklung, die in wenigen Jahrzehnten abgelaufen ist.
Neben einigen anderen Phänomenen des Vogelzugs ging Jörg Günther noch auf die Beobachtungsmöglichkeiten des Breitfrontzugs in unserer Region ein. Er berichtete über die seit vielen Jahren
systematisch durchgeführten Zugvogelzählungen am Randecker Maar und gab Hinweise für Beobachtungsmöglichkeiten des Vogelzugs direkt vor der Haustür. Vermutlich werden wir in 2015 bei einem der
ASO-Stammtische einen Vortrag über die Zugplanbeobachtungen in Bayern erleben können.
Ausführungen zum Naturschutz rundeten den Vortrag ab. Hierbei wurde vor allem deutlich, von welcher Bedeutung ein Netz von Schutzgebieten ist, in denen die Vögel auf dem Zug rasten können. Das
Biotopverbundnetz NATURA 2000 wurde hier als positives Beispiel genannt. Als Rastplatz für überwinternde Wasservögel kommt auch den großen Voralpenseen Starnberger See und Ammersee eine besondere
Bedeutung zu. Hier muss insbesondere für die Ausweisung von Ruhezonen noch mehr gemacht werden.
Ein großes Dankeschön an Jörg Günther, der mit seinen informativen Ausführungen einen hervorragenden Überblick über diverse Aspekte des Vogelzugs gegeben hat.
(Text: Peter Brützel)