Aktiver Gelegeschutz
2007 ging’s dann los, wir haben den ersten Schutzzaun aufgestellt. Ich war schon ziemlich aufgeregt, weil ich von einem Hochsitz aus die Helfer mit einem Walkie-Talkie zum Nistplatz leiten
musste.
Aber alles klappte wie am Schnürchen. Das Nest mit vier Eiern war schnell gefunden, und der Aufbau des Weidezauns war kein Problem: 20 Kunststoffstangen im Radius von 10 m um das Nest herum
postieren, sechs Reihen Zaunlitze anbringen, das Weidezaungerät anschließen, den Strom einschalten, fertig.
Richtig interessant wurde es erst jetzt, als die Fläche wieder menschenleer war. Gespannt beobachtete ich vom Hochsitz aus die Szene. Beide Brachvögel landeten nach kurzer Zeit in der Nähe des
Zauns und begutachteten die unbekannte Barriere zwischen sich und ihrem Nest. Normalerweise sind die Brachvögel begeisterte Fußgänger und gehen natürlich auch zu ihrem Nest immer zu Fuß – eilig,
möglichst im Schutz der Vegetation und dabei äußerst aufmerksam: Unentwegt beobachten sie den Himmel mit schräggelegtem Kopf und halten Ausschau nach potenziellen Feinden, nach Rabenkrähen oder
Greifvögeln. Beim Brüten und auch beim anschließenden Kükenbewachen wechseln sich beide Partner ab.
Doch an diesem 22. April stand plötzlich ein Hindernis im Weg. Das Männchen begann langsam am Zaun entlang zu gehen. Das Weibchen hatte keinen „Brutdienst“ und flog zu einer benachbarten Wiese
ab. Anfangs noch amüsiert, aber bald ziemlich erschrocken beobachtete ich den Brachvogel: Schneller und immer schneller, am Ende mehr rennend als gehend suchte er im Zaun nach einer Lücke, um zu
seinen Eiern zu gelangen. Nur diesem großen Drang zum Nest ist es zu verdanken, dass man solche Maßnahmen überhaupt durchführen kann. Ist das Gelege mit drei bis vier Eiern vollständig, versuchen
die Vögel mit allen Mitteln dorthin zu gelangen. Lägen nur ein oder zwei Eier darin, würden sie die Brut wohl aufgeben und an einem anderen Ort ein neues Nest bauen.
Mir tat der arme Vogel allmählich leid und ich konnte kaum mehr zuschauen: Ab und zu setzte er zum Flug an und ich hoffte … – aber er landete immer wieder außerhalb des Zauns. Eifrig suchte er
dazwischen nach Nahrung, natürlich eine Übersprungshandlung aus Frustration. Die ganze Zeit hatte ich Kontakt zum Gebietsbetreuer Christian und wir überlegten schon, das Projekt abzubrechen. Nach
etwa 50 Minuten war mein Entsetzen dann groß: Das Männchen flog hoch in den Himmel und in Richtung der Wiese, auf der das Weibchen nach Nahrung suchte. „Nun ist es vorbei!“, war mein erster
Gedanke. Doch, was für eine Überraschung: Nach etwa zwei Minuten kommen beide Brachvögel zurück und landen in Zaunnähe. Das Männchen hat seine Partnerin zu Hilfe geholt! Wie, um das Problem zu
demonstrieren, beginnt es erneut, um den Zaun herumzulaufen. Das Weibchen steht ruhig da, schaut ihm eine Zeit lang zu, fliegt auf – und hinein in den Zaunbereich! Wie befreit folgt das Männchen
sofort, geht zum Nest und setzt sich. Das Weibchen bleibt noch kurz bei ihm und fliegt dann wieder hinaus zur Nahrungssuche. Oh, wie waren wir erleichtert, dass doch noch alles gut gegangen ist!