Gemeinsam Bayerns Natur schützen

Gelegeschutz des Brachvogels im Ampermoos

Gelegeschutzzaun im Ampermoos am 22.4.2018 (Foto: Gebietsbetreuer C. Niederbichler)
Gelegeschutzzaun im Ampermoos am 22.4.2018 (Foto: Gebietsbetreuer C. Niederbichler)

Streuwiesen - Heimat der Wiesenbrüter

 

Früher war Stroh im nördlichen Alpenvorland selten und so wertvoll, dass man es nicht wie heute als Einstreu für die Ställe nutzte. Es wurde z. B. an Pferde verfüttert oder diente in Säcken als Schlafunterlage. Aus Stroh machte man Bienenkörbe, Schuhe und Hüte oder Trinkhalme, und man nutzte es beim Hausbau.

 

Als Einstreu für das Vieh waren deshalb die Streuwiesen im Ampermoos sehr gefragt, sie waren teilweise wertvoller als Ackerland. Einmal im Jahr, im Herbst, wurden sie großflächig mit der Sense gemäht. Diese strauchlosen und deshalb übersichtlichen feuchten Magerwiesen waren Voraussetzung dafür, dass hier zahlreiche Wiesenvögel brüteten, darunter Schnepfenvögel wie Bekassine, Rotschenkel, Uferschnepfe – und auch der Brachvogel, um den es hier gehen soll.

 

1968 wurde der Bestand im Ampermoos noch auf sechs bis sieben Paare geschätzt; doch nachdem Ende der 60er-Jahre die Streunutzung aufgegeben wurde, verfilzten und verschilften die brachgefallenen Flächen, und im Gefolge verschwand auch der Brachvogel als Brutvogel. Nur noch vereinzelte Individuen waren auf dem Durchzug zu beobachten.

 

Zusätzliche Faktoren für das Erlöschen der Brachvogelpopulation waren die Entwässerung und landwirtschaftliche Intensivierung der Randflächen, die Eintiefung der Amper bei Grafrath sowie die Zunahme des Freizeitbetriebs. Somit war das Moos für viele Wiesenbrüter als Bruthabitat nicht mehr geeignet.

Brachvogel (Foto: Susanne Hoffmann)
Brachvogel (Foto: Susanne Hoffmann)

Seit 1982 ist das Ampermoos nun Naturschutzgebiet. Um den Wiesenbrütern wieder Brutflächen bieten zu können, unternahm die Untere Naturschutzbehörde Fürstenfeldbruck zusammen mit Landwirten ab 1986 erste Versuche, um die Streuwiesenmahd wieder aufzunehmen. Aber erst ab 1997, als Christian Niederbichler das Amt des Gebietsbetreuers übernahm und die jährliche Mahd der Ampermooswiesen ausdehnte, war immer wieder ein Paar mit Brutverhalten zu beobachten – es hatte aber nie Erfolg.

 

Der Brachvogel kehrt zurück

 

Nur durch Zufall entdeckte ich dann 2004 einen am Nest sitzenden Brachvogel, als ich bei der Kornweihenzählung Mitte April das nordwestliche Ampermoos mit dem Spektiv abschwenkte. Nach mehr als 30 Jahren wurden zwei Küken flügge, die Begeisterung war groß!

 

In den Folgejahren versuchte wohl dasselbe Paar wieder zu brüten. Jedes Mal fand aber der Fuchs die Nester mit den Eiern. Da Christian Niederbichler von erfolgreichen Gelegeschutzmaßnahmen in anderen Wiesenbrütergebieten gehört hatte, schlug er vor, das auch im Ampermoos zu versuchen.

 

Zuerst mussten wir uns natürlich um alle Genehmigungen für diese Maßnahme kümmern und einen Schutzzaun anschaffen. Große Unterstützung bekamen wir dafür vom Landschaftspflegeverband Fürstenfeldbruck. Er kaufte das notwendige Material und stellt bis heute den Antrag für das Projekt, das über die von der EU kofinanzierten Bayerischen Landschaftspflege- und Naturparkrichtlinien gefördert wird. Unterstützt haben uns von Beginn an auch die Unteren Naturschutzbehörden der drei am Ampermoos beteiligten Landkreise FFB, LL und STA und zahlreiche Landwirte, die die notwendige herbstliche Mahd übernommen haben. Und schließlich pflegen wir sehr guten Kontakt zu den Jagdpächtern im Gebiet, die uns erlauben, ihre Jagdeinrichtungen zu benutzen, ohne die diese Maßnahme kaum umzusetzen gewesen wäre.

Brachvogelgelege (Foto: Susanne Hoffmann)
Brachvogelgelege (Foto: Susanne Hoffmann)

Aktiver Gelegeschutz

 

2007 ging’s dann los, wir haben den ersten Schutzzaun aufgestellt. Ich war schon ziemlich aufgeregt, weil ich von einem Hochsitz aus die Helfer mit einem Walkie-Talkie zum Nistplatz leiten musste.

 

Aber alles klappte wie am Schnürchen. Das Nest mit vier Eiern war schnell gefunden, und der Aufbau des Weidezauns war kein Problem: 20 Kunststoffstangen im Radius von 10 m um das Nest herum postieren, sechs Reihen Zaunlitze anbringen, das Weidezaungerät anschließen, den Strom einschalten, fertig.

 

Richtig interessant wurde es erst jetzt, als die Fläche wieder menschenleer war. Gespannt beobachtete ich vom Hochsitz aus die Szene. Beide Brachvögel landeten nach kurzer Zeit in der Nähe des Zauns und begutachteten die unbekannte Barriere zwischen sich und ihrem Nest. Normalerweise sind die Brachvögel begeisterte Fußgänger und gehen natürlich auch zu ihrem Nest immer zu Fuß – eilig, möglichst im Schutz der Vegetation und dabei äußerst aufmerksam: Unentwegt beobachten sie den Himmel mit schräggelegtem Kopf und halten Ausschau nach potenziellen Feinden, nach Rabenkrähen oder Greifvögeln. Beim Brüten und auch beim anschließenden Kükenbewachen wechseln sich beide Partner ab.

 

Doch an diesem 22. April stand plötzlich ein Hindernis im Weg. Das Männchen begann langsam am Zaun entlang zu gehen. Das Weibchen hatte keinen „Brutdienst“ und flog zu einer benachbarten Wiese ab. Anfangs noch amüsiert, aber bald ziemlich erschrocken beobachtete ich den Brachvogel: Schneller und immer schneller, am Ende mehr rennend als gehend suchte er im Zaun nach einer Lücke, um zu seinen Eiern zu gelangen. Nur diesem großen Drang zum Nest ist es zu verdanken, dass man solche Maßnahmen überhaupt durchführen kann. Ist das Gelege mit drei bis vier Eiern vollständig, versuchen die Vögel mit allen Mitteln dorthin zu gelangen. Lägen nur ein oder zwei Eier darin, würden sie die Brut wohl aufgeben und an einem anderen Ort ein neues Nest bauen.

 

Mir tat der arme Vogel allmählich leid und ich konnte kaum mehr zuschauen: Ab und zu setzte er zum Flug an und ich hoffte … – aber er landete immer wieder außerhalb des Zauns. Eifrig suchte er dazwischen nach Nahrung, natürlich eine Übersprungshandlung aus Frustration. Die ganze Zeit hatte ich Kontakt zum Gebietsbetreuer Christian und wir überlegten schon, das Projekt abzubrechen. Nach etwa 50 Minuten war mein Entsetzen dann groß: Das Männchen flog hoch in den Himmel und in Richtung der Wiese, auf der das Weibchen nach Nahrung suchte. „Nun ist es vorbei!“, war mein erster Gedanke. Doch, was für eine Überraschung: Nach etwa zwei Minuten kommen beide Brachvögel zurück und landen in Zaunnähe. Das Männchen hat seine Partnerin zu Hilfe geholt! Wie, um das Problem zu demonstrieren, beginnt es erneut, um den Zaun herumzulaufen. Das Weibchen steht ruhig da, schaut ihm eine Zeit lang zu, fliegt auf – und hinein in den Zaunbereich! Wie befreit folgt das Männchen sofort, geht zum Nest und setzt sich. Das Weibchen bleibt noch kurz bei ihm und fliegt dann wieder hinaus zur Nahrungssuche. Oh, wie waren wir erleichtert, dass doch noch alles gut gegangen ist!

Bestandsentwicklung Brachvogel von 2004 bis 2021
Bestandsentwicklung Brachvogel von 2004 bis 2021

Brachvogel wieder regelmäßiger Brutvogel

 

Seitdem sind 14 Jahre vergangen und wir haben jedes Jahr einen Gelegeschutz aufgestellt.

 

2010 wurde Material für einen zweiten Gelegeschutz, und 2012 noch für zwei weitere Zäune angeschafft. Und mit dem Brutbestand an Brachvögeln geht es langsam aber stetig bergauf (siehe Grafik). Mittlerweile besitzen wir fünf Zäune und müssen jedes Jahr entscheiden, welches Paar „drankommt“. Denn 2021 haben wir erstmals mit 10 Brutpaaren ein zweistelliges Ergebnis – das belohnt alle unsere Mühen, und wir sind wirklich überrascht und begeistert über diesen Erfolg. Während in fast allen – zumindest süddeutschen –Wiesenbrütergebieten der Brutbestand des Brachvogels nach unten geht, steigt er im Ampermoos. Einzige Ausnahme ist der rundherum eingezäunte Münchner Flughafen mit 80 oder mittlerweile mehr Brutpaaren. Aber der Bau von Flughäfen zum Artenschutz scheint für uns Naturschützer eher nicht als Alternative geeignet.

 

Der Gelegeschutz hat sich im Ampermoos auf jeden Fall bewährt: Seit 2007 sind 126 Küken geschlüpft, 27 davon wurden flügge. Gut 20 % mögen auf den ersten Blick wie ein ziemlich mageres Ergebnis erscheinen, aber aus ungeschützten Nestern wurden bisher nur vier Küken flügge, inklusive der zwei von 2004.

Vier Küken (1 Tag alt) am 12.5.2019 noch innerhalb des Gelegeschutzes (Foto: Wildkamera)
Vier Küken (1 Tag alt) am 12.5.2019 noch innerhalb des Gelegeschutzes (Foto: Wildkamera)

Man muss bedenken, dass die Küken des Brachvogels Nestflüchter sind. Das heißt, kurz nach dem Schlüpfen verlassen sie das Nest und somit auch den geschützten Bereich des stromführenden Zauns. Etwa im Alter von drei Tagen laufen die Kleinen ungehindert unter der untersten Zaunlitze hindurch und sind dann schon bis zu 100 m entfernt vom Nest unterwegs. Von Anfang an suchen sie selbstständig nach Nahrung. Die beiden Elternvögel bewachen sie nur und warnen, wenn sich ein Boden- oder Luftfeind nähert.

 

Jedes Jahr verbringe ich von Mitte Februar bis Mitte Juli um die 600 Stunden bei „meinen“ Brachvögeln. Ich kenne ihre bevorzugten Reviere und ihr Verhalten, wenn sie ein Nest haben. So kann ich die Neststandorte recht leicht finden und auch beurteilen, ob das Gelege schon voll ist und eingezäunt werden kann. Mittlerweile weiß ich auch, dass sie mit dem in der Literatur als „Kükenwarnruf“ bezeichneten schnell gereihten ‚kükükü-kükükü-kükükü‘ nicht nur ihre Küken warnen, sondern dass dieser Warnruf einen Bodenfeind ankündigt, z. B. einen Fuchs. Bei Luftfeinden rufen sie ‚tlui-tlui-tlui‘ mit Betonung auf dem ‚i‘. Je schneller die Rufe, umso bedrohlicher die Gefahr.

 

Inzwischen kenne ich meine Schützlinge schon sehr gut – und sie mich. Es gibt keine langen Wartezeiten mehr, bis nach dem Aufbau des Gelegeschutzes der Brachvogel weiterbrütet. Oft vergehen nur etwa zehn Minuten, nachdem unser Team die Brutfläche verlassen hat, bis die Brachvögel über den Zaun zum Nest fliegen. So weiß ich, ohne dass der Vogel beringt oder besendert ist, dass er schon einmal bei uns im Ampermoos gebrütet hat – er kennt die Barriere Zaun aus den Vorjahren.

Dankeschön

 

An dieser Stelle möchte ich mich im Namen „meiner“ Brachvögel bei allen Menschen, die dieses Projekt so hervorragend unterstützen, bedanken: bei den Behörden und Naturschutzverbänden, bei meinem Hauptansprechpartner, dem Ramsar-Gebietsbetreuer Christian Niederbichler und bei seinen Kollege(inn)en Jana Jokisch und Markus Meßner, bei Petra Kotschi vom Landschaftspflegeverband FFB, bei allen Landwirten und Jägern, die während der Brutsaison immer zur Stelle sind, wenn Hilfe benötigt wird. Aber besonders herzlich muss ich mich bei all den freiwilligen Helfern bedanken, die Jahr für Jahr spontan bereit sind, beim Aufstellen der Schutzzäune mitzumachen. Mittlerweile habe ich eine recht ansehnliche Datei von Menschen, die bereit sind, auch ganz kurzfristig für den Gelegeschutz parat zu stehen. Dankbar bin ich auch den vielen Ornithologen, die mich mit Beobachtungen von  Brachvögeln im Bereich des Ampermooses versorgen.

 

Voller Vorfreude denke ich schon jetzt an die nächste Brachvogel-Saison. Ich freue mich vor allem auf das typische, weithin zu hörende und wunderschöne Trillern „meiner“ Schützlinge, wenn sie Anfang März wieder bei uns im Ampermoos landen und den Frühling ankündigen.

 

Alle, die an diesem Schutzprojekt beteiligt sind und waren können mit Stolz sagen: Der Brachvogel ist wieder als regelmäßiger Brutvogel im Ampermoos heimisch.

 

(Text: Susanne Hoffmann)

Im Bayerischen Rundfunk wurde schon öfter über das Ampermoos und die Brachvögel berichtet. Im Folgenden sind zwei  kurze Videos über das Ampermoos und die Arbeit von Susanne Hoffmann und Christian Niederbichler und ihren Helfern zu sehen.