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Geografische Bezüge in älteren wissenschaftlichen Pflanzennamen sind oft nicht besonders akkurat. Schließlich hatte man damals noch damit zu tun, die einzelnen Arten überhaupt erstmalig zu beschreiben, ohne deren jeweiliges Gesamtverbreitungsgebiet genauer zu kennen. So wurden manche Arten einfach danach benannt, wo man sie erstmalig gefunden hatte, oder woher sie aus fernen Ländern gebracht worden waren. Ein krasses Beispiel ist der Baum Persea indica, der in Indien überhaupt nicht vorkommt, sondern ausschließlich auf den Kanarischen Inseln beheimatet ist. Vermutlich wurde Belegmaterial auf einem Schiff mitgebracht, das aus Amerika kommend – damals noch oft als Westindien bezeichnet – auf den Kanaren einen Zwischenhalt einlegte, und man verwechselte die Herkunftsangaben zu den mitgeführten Pflanzen. Andere Pflanzennamen liegen nicht ganz so daneben, denn z.B. Regensburger Geißklee (Chamaecytisus ratisbonensis), Genfer Günsel (Ajuga genevensis) und Salzburger Augentrost (Euphrasia salisburgensis) kommen bei den genannten Orten zwar vor, aber diese liegen keineswegs im Schwerpunkt des jeweiligen Verbreitungsgebiets. So ist es auch mit der Sibirischen Schwertlilie: sie kommt in Sibirien vor, aber nur in dessen westlichstem Teil, während sie darüber hinausvor allem in Ost- und Mitteleuropa verbreitet ist. Die Sibirische Schwertlilie ist trotz ihres Namens eine bei uns genuin heimische Art – wenngleich wir uns am Westrand ihrer natürlichen Verbreitung befinden -, wohingegen es sich bei der Deutschen Schwertlilie (Iris germanica) um eine Kreuzung aus mediterranen Arten handelt, die in Burggärten kultiviert worden und von dort aus stellenweise verwildert ist.
Der Name Schwertlilie bezieht sich auf die Form ihrer geraden, linealisch langgestreckten und oben spitz zulaufenden Blätter. Bemerkenswert an diesen Blättern ist, dass sie senkrecht stehen und sich an ihnen keine Ober- und Unterseite unterscheiden lässt. Muss sich aber nicht dort, wo das Blatt am Stängel sitzt, erkennen lassen, was Ober- und was Unterseite ist? Schneidet man einen Spross nahe dem Boden ab, so sieht man zweizeilig angeordnet ineinandergreifende V-förmige Blattquerschnitte. (Bild 1) Dieses „V“ findet sich jedoch nur am Grund jedes Blattes; nach oben hin schließt es sich allmählich, d.h. die Innenseiten des „V“ verwachsen miteinander, so dass sich beidseits nur noch die – physiologische - Blattunterseite präsentiert.
Die meisten Blätter der Iris sibirica entspringen fast direkt aus dem Wurzelstock; dieser treibt verhältnismäßig viele blütenlose Sprosse, wie den in Bild 2 abgebildeten. Die Blütensprosse dagegen besitzen nur wenige Blätter abgesehen von den deutlich kleineren und nicht schwertförmigen sog. Hochblättern an den Verzweigungsstellen.
Aber wieso „Lilie“? Auf den ersten Blick haben die Blüten der Iris keine Ähnlichkeit mit einer Lilie. Sie sind überhaupt recht ungewöhnlich gestaltet: wo sind die der Fortpflanzung dienenden Teile? Zerlegt man eine Iris-Blüte, so wird man an versteckter Stelle drei Staubblätter finden. Aber die Fruchtblätter mit Griffel und Narbe? Sie sind blumenblattartig umgeformt: es sind die drei – ebenfalls blauen - Blätter, die oben aus der Mitte der Blüte in einem Bogen zum Rand neigen. Sie besitzen trotz ihrer abgewandelten Form eine funktionsfähige Narbe zur Pollenaufnahme. Zusammen mit dem jeweils darunter liegenden eigentlichen Blütenblatt bilden sie eine Röhre, an deren Eingang die Narbe liegt. Bestäubende Insekten müssen in diese Röhre kriechen, um an den Nektar zu gelangen und kommen dabei mit dem Staubbeutel und der Narbe in Berührung. Bestäubungstechnisch funktioniert eine Iris-Blüte also wie eine Rachenblume, wie wir sie etwa von Taubnessel, Fingerhut und Salbei kennen (Zum Begriff „Rachenblume“ vgl. Dieter Heß „Die Blüte“, Stuttgart 1990). Jetzt wird die Gemeinsamkeit mit den Lilien deutlich: Bild 3 zeigt die Anordnung der Teile einer typischen Lilienblüte: 6 Blütenblätter, 6 Staubblätter und drei Fruchtblätter sind zu je dreien in gegeneinander versetzten Kreisen angeordnet. Im Fall der Iris-Blüte bilden die Teile, die – wenn wir die Zeichnung rechts in Bild 3 wie an einem Uhren-Ziffernblatt betrachten – in Richtung 12h, 4h und 8h ausgerichtet sind, die beschriebenen Röhren, und zwar - von innen nach außen - den blütenblattartigen Griffelast, ein Staubblatt und das darunter liegende, in eine große herabgeschlagene Lippe auslaufende Blütenblatt. Die anderen drei Staubblätter sind – wie bei allen Iris-Gewächsen - vollständig zurückgebildet, und die drei restlichen Blütenblätter sind nach oben gerichtet und verstärken die Schauwirkung der ganzen Blüte. Ist es nicht faszinierend, wie durch nur wenige Umformungen – blumenblattartige Griffeläste und Rückbildung des inneren Staubblattkreises – beim gleichen Bauplan eine ganz anders geformte und auch anders funktionierende Blüte entstanden ist?
Die Iris sibirica ist eine typische Pflanze feuchter, nährstoffarmer Wiesen, insbesondere solcher, die in der traditionellen Landwirtschaft als Streuwiesen genutzt wurden; ihr Bestand ist daher durch das Verschwinden solcher Standorte in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen, konnte jedoch durch Unter-Schutz-Stellung und Pflege von verbleibenden geeigneten Biotopen mittlerweile einigermaßen gesichert werden. Auch der LBV Starnberg pflegt sehr erfolgreich Flächen, auf welchen größere Bestände der Iris sibirica wachsen. Entscheidend ist dabei einerseits, dass wir jährlich im Herbst durch Mahd und Entfernung des Mähguts eine Nährstoffanreicherung und Verbuschung verhindern, denn diese würden dazu führen, dass konkurrenzstärkere Arten die Iris verdrängen, und andererseits, dass wir jeweils einen Teil der Fläche (sogenannte Altgrasstreifen) beim Mähen aussparen. Denn die Sibirische Schwertlilie ist ein „Wintersteher“, das heißt, sie streut ihre Samen erst im Lauf des Winters aus. Als mehrjährige Pflanze kann sie schadlos etliche Jahre in Folge die herbstliche Mahd überstehen, aber von Zeit zu Zeit ist auch eine Erneuerung durch Samen erforderlich. Dies wird durch die besagten Altgrasstreifen gewährleistet.
Die Sibirische Schwertlilie wird in der Roten Liste Deutschland und in der Roten Liste Bayern als „gefährdet“ (= Stufe 3) geführt; sie ist wie alle Iris-Arten nach dem Naturschutzgesetz „besonders geschützt“.
(Text: Rudi Netzsch)