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Niels Dingemanse beim Orni-Stammtisch
Niels Dingemanse beim Orni-Stammtisch

 

29. November 2023

 

 

Beim Orni-Stammtisch in Drößling hatten sich knapp 40 Ornis eingefunden. Den Vortrag zum Thema „Persönlichkeit bei Vögeln und anderen Tieren” hielt Prof. Niels Dingemanse vom Lehrstuhl für Verhaltensökologie an der Ludwig-Maximilians Universität München. Der Vortrag war folgendermaßen angekündigt worden:

 

 

In den  letzten zwanzig Jahren hat die Forschung im Bereich Tierverhalten und Verhaltensökologie faszinierende Verhaltensunterschiede zwischen Tieren derselben Art festgestellt. Lange Zeit glaubten Forscher, dass Tiere ihr Verhalten hauptsächlich flexibel an die gegebenen Umweltbedingungen anpassen, welche sich im Laufe ihres Lebens verändern können. Beispielsweise sind viele Wildtiere aufmerksamer und schreckhafter, wenn viele Raubtiere oder Menschen in der Umgebung sind, als in Gegenden mit geringerem Prädationsrisiko.

Neue Forschungserkenntnisse hingegen zeigen, dass Tiere nicht nur sehr anpassungsfähig in ihrem Verhalten sind, sondern dass sich Individuen auch grundsätzlich in ihrem Verhalten voneinander unterscheiden. Unser heutiger Vortrag befasst sich mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft und der Erkenntnis, dass Vögel sich, genau wie Menschen, in ihren Persönlichkeiten unterscheiden. Diese Tierpersönlichkeiten haben eine genetische Grundlage und werden weiterhin stark während der juvenilen Lebensphase geprägt. Verschiedene Charaktertypen haben einen maßgeblichen Einfluss auf die Lebenserwartung und die Fertilität von Individuen, z.B. in Hinblick auf die Anzahl der Eier, die sie produzieren. Die Hauptfrage, mit der wir uns in diesem Vortrag befassen werden, ist das „Warum“: Warum haben Vögel Persönlichkeiten und wie können verschiedene Typen in einer Population koexistieren? Wir werden Experimente besprechen, die wir an Kohlmeisen durchgeführt haben, um diese spannenden Fragen zu beantworten.

Kohlmeise
Kohlmeise

Niels Dingemanse bezeichnet sich selbst als Naturalisten und Ornithologen. Er forscht seit über 25 Jahren auf dem Gebiet der Verhaltensökologie. Sein besonderes Interesse gilt dabei der Verhaltensvariation auf den diversen Ebenen – den Arten, den Populationen und den Individuen innerhalb einer Population.

 

Anhand einer kleinen Zeitreise durch die Verhaltensökologie legte Niels Dingemanse dar, dass individuelle Variation lange Zeit nicht im Mittelpunkt der Forschung stand. In den 1970 er Jahren wurden individuelle Unterschiede ignoriert – das durchschnittliche Tier stand im Fokus der Arbeiten. Zu dieser Zeit fanden Persönlichkeitspsychologen heraus, dass sich Menschen in ihrem Verhalten sehr wohl unterscheiden (Modell der 5 Persönlichkeitsmerkmale Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus). Warum sollte das bei Tieren anders sein?

 

In den 1980er Jahren wurde viel Stressforschung im Zusammenhang mit der Produktion von Milch, Fleisch und Eiern gefördert. Verhaltensphysiologen fanden in Experimenten mi Hühnern, Ratten, Mäusen und Schweinen heraus, dass sich tierische Individuen unterschiedlich verhalten. Ein sehr anschauliches Beispiel war ein Video über das Verhalten waghalsiger und schüchterner Schweine bei der Futtersuche.  Nun begannen auch die Verhaltensökologen am Thema Individualität zu forschen.

In den 90er Jahren begannen Vogelkundler, Wildtiere unter standardisierten Bedingungen im Labor großzuziehen. Ein sehr arbeitsintensiver Ansatz – Eier sammeln, Vögel von Hand aufziehen, etc.. Die Vögel wurden dann in Hinblick auf ihre Aggressivität und ihr Vermögen, neue Dinge zu erkunden, untersucht. Dabei wurde herausgefunden, dass Vögel unterschiedliche Ausprägungen ihrer Persönlichkeit, z.B. in Hinblick auf die Risikobereitschaft haben. Um die Jahrtausendwende wurden viele weitere Tiergruppen daraufhin untersucht, und man fand heraus, dass Säugetiere, Vögel, Fische und sogar Insekten unterschiedliche Persönlichkeiten haben. Es entwickelte sich ein neues Forschungsfeld „animal personalities“.  

 

Experiment - Erkunden neuer Umgebungen
Experiment - Erkunden neuer Umgebungen

Niels Dingemanse forschte in der Umgebung des Starnberger See hauptsächlich an Kohlmeisen. In vielen aufwändigen Freiland- und Laborexperimenten wurde untersucht, wie sich (schüchterne und waghalsige) Kohlmeisen bei der Erkundung neuer Umgebungen oder bei der Erkundung neuer Objekte (pink panther Test, Batterietest) verhalten. Ebenso wurde die innerartliche Aggression sowie das Verhalten bei der Anwesenheit von Prädatoren untersucht.  Dabei wurde herausgefunden, dass die waghalsigen Kohlmeisen ein wesentlich größeres Verbreitungsgebiet haben, da sie sich in Gebieten mit wenig innerartlicher Konkurrenz am wohlsten fühlen. Sie verfolgen eine Art live-fast-die-young Stratgie (schnell leben, jung sterben), legen  mehr Eier und sind in der Lage, alternative, soziale Lebensräume zu erschließen. Den schüchternen Kohlmeisen geht es in Gebieten mit hoher innerartlicher Konkurrenz am besten, sie sind überraschenderweise die dominanteren Tiere. So können unterschiedliche Persönlichkeitstypen bei den Meisen koexistieren.  Jeder Typ, der schüchterne und der waghalsige, findet seinen Platz zum Leben.

 

Kohlmeisennistkasten in der Region STA
Kohlmeisennistkasten in der Region STA

Ein beeindruckender Vortrag mit vielen, für die meisten der Anwesenden neuen und überraschenden Erkenntnissen. Niels Dingemanse verstand es ausgezeichnet, den komplexen Sachverhalt anschaulich zu vermitteln und auf die vielen Fragen aus dem Publikum sachkundig einzugehen. Vielen Dank an Niels Dingemanse für einen gelungen Vortrag zu unserem Orni-Stammtisch.

 

(Text: Pit Brützel; Fotos: Niels Dingemanse)